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„Wir Eltern erleben oft Kinder, die erschöpft sind“

Düsseldorf – Der Schulstreit in Nordrhein-Westfalen scheint wieder aufzuflackern. Besonders die Schulzeit-Dauer für Abiturienten ist ein Zankapfel zwischen Politik, Lehrern und Eltern. Mit Andrea Heck (Foto), der stellvertretenden Vorsitzenden des Elternvereins NRW sprach NRW.jetzt über die aktuelle Lage…

Frau Heck, in NRW wird intensiv diskutiert, wie lange die Schulzeit bis zum Abitur dauern soll. Welche Haltung vertritt der Elternverein NRW dazu?

Der Elternverein NRW vertritt die Auffassung, dass eine Rückkehr zu G9 einen großen Gewinn in der Bildung unsere Kinder bringen kann, sofern sie gut überlegt und vorbereitet durchgeführt wird. Ein weiteres Schuljahr anzuhängen, ohne dass notwendige Verbesserungen in der Qualität der Gymnasialbildung umgesetzt werden, wäre sinnlos.

Das heißt also, wenn G9 wieder eingeführt wird, müsste begleitend noch viel mehr an den Schulen des Landes geschehen?

Das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen muss immer im Mittelpunkt von Schulreformen stehen. Die Wissensvermittlung und vor allem der humanistische und ethische Reifeprozess der Jugendlichen in der Schule haben mit dem Turbo-Abi leider sehr gelitten. Das berichten uns nicht nur die Eltern, sondern auch Lehrer, Professoren an den Unis und unzählige Stimmen aus der Wirtschaft, die sich zudem mit Recht beklagen, dass die Schüler nicht genügend Kenntnisse in Fächern wie Deutsch oder Mathematik nach dem Schulabschluss besitzen. Aber nicht nur die Fachkenntnisse, sondern auch eine folgerichtige und konsequente Persönlichkeitsentwicklung der Jugend werden durch die hohe Wochenstundenzahl in der Schule beeinträchtigt, weil zwangsläufig musische und geistige Tätigkeiten zu kurz kommen. Also brauchen wir vernünftige Lehrpläne, eine rasche Lösung für den Unterrichtsausfall und genügende Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrer.

Wie groß das Problem des Unterrichtsausfalls in NRW ist, weiß doch niemand, weil das Ministerium keine Statistiken erhebt…

Das ist leider ein sehr großes Problem, vor allem, weil das Ministerium sich nicht auf eine eindeutige Definition von Unterrichtsausfall festlegt. Wir alle wissen, dass Unterricht nur stattfinden kann, wenn ein Fachlehrer nach dem Stundenplan der Schule unterrichtet. Sicher gibt es seitens des Ministeriums Konzepte zur Vermeidung von Unterrichtsausfall, Empfehlungen, die die Schulen in NRW befolgen können, wenn Lehrer krank, beurlaubt oder bei einer Klassenfahrt sind. Sicher gibt es Vorkommnisse, die unvermeidbar oder nicht vorhersehbar sind. Aber wenn ein Kind in der Schule sich einen James-Bond Film anschauen muss in der Stunde, in der eigentlich Biologie hätte unterrichtet werden sollen, zählt diese Stunde nicht als Ausfall, weil das Kind in der Schule ist und ein Lehrer am Anfang der Stunde da war.

Hier brauchen wir eine klare Position unserer Bildungsministerin. Das Ministerium ist hier in der Pflicht, den Ausfall konkret zu erfassen und durch deutlich mehr Personal abzustellen. Dies muss für alle Eltern greifbar und transparent sein.

Was müsste die Politik aus Ihrer Sicht begleitend bereitstellen, falls G9 verpflichtend wieder eingeführt würde?

Schulpolitik ist ein gesellschaftliches Thema, an dem sich Politiker aller Parteien beteiligen. Es wird viel diskutiert, vor allem, wenn Wahlen bevorstehen. Es wird viel über die Wissens- und Kompetenzvermittlung geredet. Eine aufgeregte Diskussion kommt immer zustande, wenn es darum geht, zu definieren, was Lehrer vermitteln müssen und was Kinder leisten sollen. Als Vertreter der Elternschaft in NRW vermisse ich sehr, dass die Politik sich darum kümmert, was die Betroffenen der Reform zu sagen haben, also die Lehrer, Eltern und natürlich die Kinder. Diese Reformen werden leider meistens von Politikern entworfen, die vergessen, dass Schüler nicht Lernmaschinen sind, die bald zum Wirtschaftswachstum beitragen. Kinder brauchen Zeit, sich zu entfalten und ihr Potenzial zu entdecken und zu entwickeln. Und Zeit, um sich ethisches Handeln nach unserem Wertesystems anzueignen. Wir Eltern erleben oft Kinder, die erschöpft sind und von einer Klausur zur nächsten laufen, Kinder, die keine Lust auf Lernen und Schule haben. Dabei soll das Gymnasium das Interesse an vielen Fächern wecken und die Kinder zu einem wissenschaftlichen Studium befähigen, nicht mehr und nicht weniger.

Die Politik muss daher für Stabilität sorgen, denn die ständige Umgestaltung des Schulsystems verunsichert alle Beteiligten. Sie muss auch inhaltlich konkrete Lehrpläne entwickeln, die genug Zeit und Stoff für eine echte Hochschulreife bieten. Auch für genügend Lehrpersonal in allen Einrichtungen muss gesorgt werden.

Andrea Heck
Vorstand und Stv. Vorsitzende des Elternvereins NRW
Juristin und Mutter von drei Kinder
www.elternverein-nrw.de

Bildquellen (Titel/Herkunft)

  • andrea_heck: andrea heck

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