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Im Barbershop: Urlaub machen in einer halben Stunde

Von FELIX HONEKAMP

Ein südländisch aussehender Mann mit Bart hält mir eine scharfe Klinge an den Hals – sein Gesichtsausdruck offenbart eine seltene Mischung aus fester Überzeugung, das Richtige zu tun, und Konzentration, um in diesem heiklen Moment keinen Fehler zu machen. Der Worte sind genug gewechselt, wir schweigen beide, ich halte den Atem an, ein wenig unsicher … der Schnitt ist sauber, besser als ich ihn selbst ausführen könnte – gut, wenn man solche Dinge von Leuten machen lässt, die sich damit auskennen! – „Noch einen Schluck Kaffee?“

Geben Sie’s zu, einen kleinen Moment hatte ich Sie: Südländischer Mann mit Messer in der Hand?! Dabei geht es um etwas ganz harmloses, um einen kleinen Urlaub, für den ich werben möchte, in diesem Fall vor allem – die Damen bitte ich das zu entschuldigen – für die männlichen Leser: Der Gang zum Friseur hat für uns in der Regel eher praktischen Charakter. Irgendwann sind die Haare einfach zu lang, seit spätestens Ende der 80er laufen wir nicht mehr als Hippies durch die Gegend, und selbst wer in höherem Alter die Haare noch lang trägt, hat sie zumindest anständig gepflegt. Ist das Eitelkeit? Vielleicht, vor allem aber ist es das Eingeständnis, dass die Welt um einen herum mit dem eigenen Aussehen klar kommen muss. Außer beim regelmäßigen Besuch von Nassräumen sehe ich mich selbst eher selten: Freunde, Kollegen, andere Reisende in der Bahn, vor allem meine Frau müssen mein Aussehen immer ertragen. Sich anständig zu pflegen kann (!) also der Eitelkeit geschuldet, darf (!) aber auch ein Zeichen gelebter Nächstenliebe sein.

Soweit so gut so hoch aufgehängt. Frauen – so meine statistisch nicht validen Beobachtungen – lesen beim Friseur in Magazinen oder plaudern mit der Friseurin über das Liebesleben der Bürgermeisterin oder die Kleiderordnung des nächsten Schützenfestes. Small-talk und Gossip könnte man das nennen – und nichts liegt einem Mann ferner als das. Probleme wälzen, die Herausforderungen der Welt lösen: Das ist unser Ding! Royals und das „Liebesleben der Stars“ eher weniger. Was also tun, wenn man eine volle Haarpracht hat, vielleicht sogar einen Bart trägt, und frisiert gehört: Hinsetzen – „Wie soll’s denn werden?“ – „Kurz!“ – Haarewaschen, Schneiden, Föhnen – der unangenehme Augenblick der Frage „Soll ich auch ein bisschen die Augenbrauen …?“ – zum Schluss „Gut so?“ – „Ja, passt.“ – Abbürsten, aufstehen, zahlen – „Auf Wiedersehen“ und raus. Knappe halbe Stunde, alles erledigt – hoffentlich ist es gut geworden?! Eine halbe Stunde Lebenszeit in einem meist femininen Ambiente vergeudet, eine halbe Stunde, in der man nichts anderes machen kann, als mit sich machen zu lassen. Vielleicht schaffen es Hardcore-Katholiken, in dieser Zeit zu beten – für einen Rosenkranz sollte es in aller Regel reichen -, aber dazu zähle ich mich in dem Fall mal nicht.

Wenn das alles aber auch nur im Ansatz richtig ist, warum dann nicht das Notwendige und Nützliche mit dem Angenehmen verbinden? Dazu zählt der Besuch eines anständigen Barbiers – schwere Ledersessel, heiße Tücher für Bart und Gesicht, anständiger Kaffee, keine „Frau im Spiegel“, keine Cosmopolitan, höchstens mal eine GQ, besser eine Heritage Post. Keine Dauerschleifen-Lounge-Musik, schon gar kein Schlager: in einem anständigen Herrensalon läuft Soul … oder Frank Sinatra, der Mann, von dem ich immer behaupte, dass man, wenn man ihn hört, ein bisschen aufrechter läuft. Dazu ein Barbier, der nicht der Meinung ist, dass Haare von Männern einfacher zu schneiden seien als die von Frauen und sich der Herausforderung stellt, die Haare so zu schneiden, dass es anständig aussieht ohne allzu frisiert zu wirken. Und einer, der weiß, dass der Bart eines Mannes keine Marotte und schon gar kein Produkt der morgendlichen Müdigkeit ist, sondern gepflegt und getrimmt gehört. Und noch dazu einer, der zu reden in der Lage ist, bei dem man aber nicht das Gefühl hat, unhöflich zu sein, wenn man einfach schweigt: Der Barbier weiß, was sein Auftrag ist und lässt seinen Gast – als solcher fühlt man sich dann schnell – auch gerne in Ruhe seinen Gedanken nachhängen.

Und schon wandelt sich die Szenerie: Anfang und Ende sind gleich – erst eine überholungsbedürftige Haarpracht, anschließend eine gepflegte Frisur und ein gepflegter Bart – aber die Zeit dazwischen könnte unterschiedlicher kaum sein. Aus einer Dienstleistung, die an einem selbst durchgeführt wird, ist eine kleine Auszeit geworden. Ein technischer Vorgang, nach dem man kürzere Haare hat als vorher, wird zum Urlaub von einer guten halben Stunde, der Schwung gibt für den weiteren Tag. Ja, anschließend sieht man besser aus als vorher, vor allem aber fühlt man sich hinterher besser. Der Barbier ist – auch wenn man seinen Namen nicht erfahren haben mag und ihn vielleicht nie wieder sehen sollte, einen vielleicht auch sonst Welten trennen – für diese halbe Stunde zu einem Freund geworden.

Wer will, kann also seinen Haarschnitt bei einem Discounter für ein Paar-Euro-Neunundneunzig machen lassen; der kriegt die Haare auch kurz. Wer sich selbst aber etwas gönnen will, anschließend auch seinen Nächsten als ein ganz klein bisschen besserer Mensch begegnen will – sowohl optisch als auch im Sinne eines entspannteren Wesens – für den ist der Besuch beim Barbier eine lohnende Investition (und alle paar Wochen auch keine Großausgabe).

Mehr: hagisbarbershop.de

Bildquellen (Titel/Herkunft)

  • Barbershop_Hagi’s_Düsseldorf: hagi's barbershop

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