„Hurra, wir kapitulieren! Alaaf!“
Köln – Das Festkomitee des Kölner Karnevals ist eine der wichtigsten Interessengruppen in der Stadt, denn wenn es um die närrische Zeit geht, macht den Kölnern in Deutschland niemand etwas vor. Wenn „de Session“ läuft, regiert der Frohsinn in der Millionenstadt am Rhein, dann ist den Jecken nichts heilig. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen, da werden die Autoritäten von Staat und Kirche verbal zerlegt, da fahren Mottowagen herum, auf denen Merkel & Co. respektlos ihr Fett abbekommen. Auch kirchliche Würdenträger bleiben davon nicht ausgenommen – fragen Sie einmal Joachim Kardinal Meisner! Doch nun scheint eine Zeitenwende angebrochen zu sein.
Erstmals waren Nutzer auf Facebook dazu aufgerufen worden, über das Motiv für einen Mottowagen abzustimmen, der sich mit dem Thema Pressefreiheit beschäftigte. 7.000 stimmten ab und entschieden sich mit Mehrheit für ein Motiv, das einen Zeichner abbildet, der seinen Bleistift in den platzenden Gewehrlauf eines Terroristen steckt – eine Verbeugung auch vor den Opfern des blutigen Anschlags auf die Charlie Hebdo-Redaktion in Paris. Doch die Begeisterung beim Festkomitee endete abrupt, nachdem erste Zuschriften besorgter Karnevalisten eingingen, die auf den Rosenmontagszug als mögliches Anschlagsziel hinwiesen. Da war es dann schnell vorbei mit der Zivilcourage der Jecken im „hilijen Kölle“. Angeblich sollen Karnevalsgesellschaften Bedenken gehabt haben, in der unmittelbaren Nähe des „Charlie Hebdo“-Wagens im „Zoch“ mitzugehen. Am Mittwochabend veröffentlichte das Festkomitee dann diese Erklärung: „Wir möchten, dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszuges befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben. Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht. Aus diesem Grund haben wir heute entschieden, den Bau des geplanten ‚Charlie Hebdo‘-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Kölner Rosenmontagszug mitfahren zu lassen.“
Übersetzt: Eine gesellschaftliche Gruppe muss nur eine glaubhafte Gewaltkulisse erkennen lassen, schon wird sie aus der öffentlichen Kritik genommen. Man kann dieses jämmerliche Angsthasentum nicht einmal nur den Kölner Karnevalisten vorwerfen. Es zeigt sich auch in den Kreuzen, die hierzulande aus Schulen und Amtszimmern verbannt werden. Es zeigt sich bei den St.-Martins-Umzügen, die auch in Nordrhein-Westfalen zu „Lichterfesten“ umerklärt werden. Es zeigt sich bei der offenkundigen Selbstmarginalisierung des schulischen Religionsunterrichts und so weiter. „Hurra, wir kapitulieren – Von der Lust am Einknicken“, so hat der politisch inkorrekte Autor Henryk M. Broder 2006 sein Buch genannt, das sich mit derartigen Phänomenem in unserer, ach so aufgeklärten, deutschen Gesellschaft beschäftigt. Dort schreibt er: „Die Diskussion darüber, welche blasphemischen Provokationen wir unterlassen sollten, damit sie sich nicht gekränkt fühlen, führt zwangsläufig in das Reich des Absurden. Dürfen fromme Juden von Nicht-Juden den Verzicht auf Schweinefleisch verlangen? Und mit Sanktionen drohen, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wird? Darf ein Hindu Amok laufen, weil die Schweizer die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Kuh nicht anerkennen? Wer Moslems das Recht einräumt, sich darüber zu empören, daß die Dänen sich nicht an ein islamisches Verbot halten, muß solche Fragen mit einem klaren Ja beantworten. Und schließlich auch Analphabeten erlauben, Buchhandlungen zu verwüsten, denn in einer Welt, in der sich jeder gekränkt und gedemütigt fühlen darf, darf auch jeder entscheiden, welche Provokation er nicht hinnehmen mag.“ Diese Gesellschaft, die im jahrzehntelangen Wohlstand der Wert von Freiheit, von umittelbarer wirklicher Freiheit zu schätzen verlernt hat, ist auf keinem guten Weg. Das jüngste Beispiel aus dem Kölner Karneval ist nur ein kleiner Beleg dafür.