Dieter Gorny: „Ich muss immer Tempo und Euphorie spüren“
Die Liebe zur Musik, die sein weiteres Leben entscheidend prägen sollte, entdeckte der Bochumer Junge erst spät, so etwa mit 14 Jahren. Ein Klassenkamerad, der Gitarre spielte, überredete Gorny, den E-Bass in einer Band zu übernehmen. Man spielte Rockmusik in evangelischen Gottesdiensten in einer Gemeinde in Wattenscheid. „Die Leute waren echt sauer“, erinnert sich mein Gesprächspartner, während er auf einem Tomatenstück kaut, „die Musik war nämlich viel zu laut“. Doch da die Zeiten progressiv waren und der Pfarrer auch, ging es eine Weile so weiter. Aber die Beschränkung auf Rockmusik allein war dem jungen Mann zu wenig. Noch vor dem Abitur begann er, sich für den Kontrabass zu interessieren. Nach bestandener Reifeprüfung schaffte Gorny sogar die Aufnahme an der Staatlichen Hochschule für Musik in Wuppertal.
„Das war alles gar nicht so geplant“, sagt er rückschauend, „aber umso intensiver“. Mitglied der Bochumer Symphoniker in den Jahren 1975/76, dann erst Dozent, später Fachbereichsleiter des neu eingerichteten Bereichs „Popularmusik“ an der Bergischen Musikschule Wuppertal. Gorny: „Die musikalisch-kulturelle Identität aller Leute in den Achtzigern war die Rockmusik. Darauf musste auch eine Musikschule Antworten geben.“ Eine der Antworten, die Gorny – damals schon Leiter des Rockbüros NRW – gab, war die Gründung der Fachmesse Popkomm, kombiniert mit einem großen Festival, bei dem kaum ein Topkünstler der Rock- und Popszene fehlte. Zehntausende Musikfans pilgerten alljährlich nach Köln (bis 2003) und pilgern bis heute noch nach Berlin. Und dann gab es da noch diese „lockere Idee“, wie der Mann im schwarzen T-Shirt mir gegenüber das nennt: die Gründung des Musiksenders VIVA Anfang der 90er. „Das Programm schlug ein wie eine Bombe“, erinnert er sich an die aufregenden Zeiten. „Das war eine Boom-Dekade und unser TV für junge Leute passte genau.“ Bis 2005 führte der Musikmanager den Sender zu immer neuen Erfolgen, dann wurde VIVA verkauft, Viacom übernahm und Gorny zog nach London, brachte seine Kreativität bei MTV Europe ein. Doch es dauerte nur gut ein Jahr, da wurden ihm „die Spielräume zu eng“. Und eine aufregende Alternative winkte in Nordrhein-Westfalen: Direktor Kreativwirtschaft der Kulturhauptstadt 2010.
„Die geilste Zeit ist immer, wenn die Dinge noch frisch und nicht etabliert sind“, gestattet der Macher einen Einblick in seine Gefühlswelt. Jahrelang immer das Gleiche machen, geregelte Arbeitszeiten – das ist nichts für Dieter Gorny. „Ich muss immer Tempo und Euphorie spüren“, sagt er, und die spürt er auch jetzt wieder in seiner Heimat: „Das Ruhrgebiet ist eine Region mit einem Mythos!“ Für die wirtschaftliche Zukunft des arg gebeutelten Reviers ist die Kultur ein entscheidender Faktor – da lässt Gorny keine Zweifel zu. Und wenn er von Kultur redet, meint er nicht nur die etablierte, hochpreisige, subventionierte Kultur. Es ist die freie Kulturszene, die ihn ins Schwärmen bringt. Hier wird das Lebensgefühl kreiert, das der Region eine Zukunft bringen soll: „Kultur ist das verbindende Element, das die Freiräume und Impulse schafft, die man zur persönlichen Identifikation braucht. Und das bringt auch die Ökonomie wieder in Schwung.“
Dieter Gorny ist ein Kämpfer. „Ich will gestalten“, sagt er euphorisch. Das Ruhrgebiet soll nicht „ausbluten“, die Frage, wie man die Menschen hier hält, treibt ihn um. Das ist seine Mission. Und wenn es nach ihm geht, über die vereinbarte Vertragslaufzeit hinaus. Die endet 2010, doch er würde gern weitermachen – über das große Festival hinaus.
Der Manager ist verheiratet, hat vier Kinder, von denen drei noch zu Hause wohnen. „Meine Tage sind extrem durchgeplant“, sagt er und nutzt die Gelegenheit, mahnend auf die Uhr zu schauen. Meine Zeit läuft langsam ab. Wenn er zu Hause ist, geht er jeden Morgen mit Hund „Tristan“ joggen – unverzichtbar, denn „ich bin ein genussvoller Mensch“. Und zum Genuss gehört auch gutes Essen. „Ich liebe pure, hochwertige Nahrungsmittel und guten Wein.“ Aber einfach, nicht in „stieseliger Atmosphäre“, wie er das nennt. Und sonst? „Die Wochenenden sind tabu, dann lieber nachts durcharbeiten“, verrät Gorny noch. Auch wenn er noch nicht weiß, wohin die Reise für ihn persönlich ab 2011 gehen wird, ist er in einem Punkt ganz sicher, was sein weiteres Leben prägen wird: „Ich muss immer irgendwas machen. Das hört nie auf!“
Während wir uns verabschieden, schaut er im Gehen nach neuen e-mails, gleich beginnt der nächste Termin. Vor sechs Monaten hat Dieter Gorny sein Büro in Essen bezogen. Die Bilder für die weißen Wände stehen noch immer angelehnt auf dem Teppich. Er hatte wohl noch keine Zeit, sie aufzuhängen. Und wie es aussieht, werden sie noch eine ganze Weile dort stehen bleiben.
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