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Boris Reitschuster in Köln: „Russland will keinen Krieg mit dem Westen“

von KLAUS KELLE

KÖLN – Wer Putin verstehen will, der muss zunächst die russische Seele verstehen. Mit dieser Empfehlung an seine Zuhörer eröffnete Boris Reitschuster, Buchautor („Putins verdeckter Krieg“) und langjähriger Moskauer Bürochef des Magazins FOCUS, Ende vergangener Woche seinen Vortrag bei der MIT, der CDU-Mittelstandsvereinigung in Köln. Russland ist in aller Munde in diesen Tagen. Gerade hat der SPIEGEL beunruhigende Rechercheergebnisse über Verbindungen zwischen Kreml und Abgeordneten der AFD veröffentlicht. Der Titel „Putins Puppen“. Ist die AfD das wirklich? Ein wenig holzschnittartig erscheint das schon. Anders Boris Reitschuster, der Russland liebt, verheiratet ist mit einer Russin, deren gemeinsame Kinder in Moskau zur Welt kamen. Nein, Reitschuster ist alles andere als ein Russland-Feind. In seinem Vortrag erwähnte er fast beiläufig, dass er sich wünsche, irgendwann in der Zukunft mit seiner Familie wieder in Russland zu leben, weil er sich dort eher Zuhause fühle als beispielsweise in den USA.

Warum Reitschuster trotz seiner Liebe zu Mütterchen Russland und der russischen Seele blindwütg angegriffen wird, liegt daran, dass er differenziert zwischen dem Riesenreich und seinem Anführer Wladimir Putin. Einem ehemaligen KGB-Agenten mit Verstrickungen zu internationalen Mafiaorganisationen. „Es gab Personalentscheidungen in der russischen Administration, die vorher auf Sizilien besprochen wurden“, referiert Reitschuster in aller Ruhe und belegt seine Behauptungen mmit zahlreichen Details und einem famosen Personengedächtnis. Vor einen großen Landkarte des „eurasischen Kontinents“ doziert er über die vielen Probleme des Riesenreiches. Moskau sei heute eine strahlende Metropole, vielleicht die modernste Millionenstadt überhaupt. „Aber fahre Sie mal 25 Kilommeter raus“, empfiehlt der Buchautor, der Wladimir Putin aus mehreren persönlichen Begegnungen und Hintergrundgesprächen beim Tee kennt. Da sehe es schon anders aus.. Und wenn man 50 Kilometer rausfahre, dann finde man das wirkliche Russland, das ohne die glitzernden Fassaden.

Reitschuster schlägt den Bogen vom Ende der Amtszeit Jelzins, der korrupt sei vergleichbar mit Ex-Präsident Viktor Janukowitsch in der Ukraine. Putin erfülle die Erwartungen der Mehrheit der Bürger einer einstmaligen Supermacht, die sich vom Westen und insbesondere von den Vereinigten Staaten gedemütigt fühlt. Man könne in Russland in Frieden leben und sogar die Politik der Regierung kritisieren, so lange man dem System nicht gefährlich werde. So wie einst der milliardenschwere Oligarch Michael Chordokowski, den man – nachdem bei Hofe in Ungnade gefallen – in einem Käfig eingesperrt der Öffentlichkeit vorführte mit einem zu großen Hosengürtel, so dass der Häftling immer wieder seine Hose hochziehen musste vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Eine Demütigung und Entwürdigung der Art, auf die sich der Kreml seit jeher bestens versteht.

„Er kann sich keine Schwäche erlauben“, beschreibt Reitschuster das System Putin, das nicht mehr auf Gulags beruhe, sondern auf subtilen Nadelstichen, persönlicher Autorität, Zynismus und Lügen. Bei Reitschuster schwingt durchaus Anerkennung mit, wenn er Putin beschreibt: „Es ist genial, wie er unsere Schwächen nutzt und unsere Politiker vorführt.“ Und weiter: „Wir haben Süßwassermatrosen auf der Brücke, aber wir sind auf dem Ozean unterwegs!“ Und er schwärmt von der ersten Reise Konrad Adenauers in die Moskauer Höhle des Löwen nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem mehr als 20 Millionen Menschen ihr Leben im Krieg gegen Nazi-Deutschland lassen mussten. Und an Adenauers Drohung, sofort abzureisen, wenn die noch lebenden deutschen Kriegsgefangenen nicht freigelassen würden. „Wie wäre es wohl ausgegangen, wenn Frank-Walter Steinmeier in seiner Situation gewesen wäre?“, ätzt Reitschuster.

Russland sei ein unglaublich reiches Land durch seine Rohstoffe, beschreibt Reitschuster eins der gravierenden Probleme des Landes. Es gebe keine Rechtssicherheit, die Russland in die Lage versetze, selbst Wertschöpfung aus seinen Bodenschätzen zu erzielen. Und hinter allem, was erkennbar schlecht laufe, sei der Westen, seien immer die Amerikaner schuld.

Nach einem kurzen Schlenker zum früheren deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der für den russischen Staatskonzern Gazprom arbeitet und den früheren österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel(ÖVP), der beim russischen Ölkonzern Rosneft ein erkleckliches Auskommen gefunden hat (Reitschuster: „Ich finde das entwürdigend.“), kommt der Referent zum Schluss. Bei allen Provokationen sei es sehr unwahrscheinlich, dass Russland Krieg mit dem Westen wolle: „Die Hälfte des russischen Vermögens ist in London und der Schweiz angelegt. Die Yachten der russischen Oligarchen ankern vor Nizza. Und die Ehefrauen sind beim Shoppen in London. Warum sollten sie das alles in Schutt und Asche legen?“

Bildquellen (Titel/Herkunft)

  • Reitschuster_Putin: nrw.jetzt

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