OLG-Entscheidung zu Bauverträgen mit gewissen Risiken verbunden
Auftraggeber können Bauverträge nicht mehr wie bisher problemlos kündigen und auch noch Schadenersatz fordern, wenn der Auftragnehmer insolvent ist. Das ist das Ergebnis einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Bislang war ein solches Vorgehen durch § 8 Abs. 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) gedeckt. Diesen Paragrafen hat das Gericht vom 16. März für unwirksam erklärt hat (Urteil – 1 U 38/14). Philipp Oberbrunner, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der wirtschaftsrechtlich orientierten Full-Service-Kanzlei Schröder Fischer aus Düsseldorf (www.schroederfischer.de), erläutert das Urteil und die Bedeutung für die Praxis.
Herr Oberbrunner, die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt klingt erst einmal so, als würde sie nicht viele Menschen etwas angehen.
Philipp Oberbrunner: Das stimmt natürlich nicht. Sowohl Unternehmen als auch Privatleute schließen – natürlich mit unterschiedlicher Intensität und über unterschiedliche Summen – Verträge über Bauleistungen ab, in denen sie sich auf die Anwendung der VOB/B als eine Art „Profiregelwerk“ geeinigt haben. Sei es der private Hausbau, die gewerbliche Hallenerweiterung oder auch nur die Dachbegrünung.
Im Kern besagt das Urteil, dass die Kündigung eines Bauvertrags, die ausschließlich mit der Insolvenz des Auftragnehmers begründet wird, nicht auf die für den Auftraggeber sehr vorteilhafte Regelung des § 8 Abs. 2 VOB/B gestützt werden kann. Wie oft kommt das denn in der Praxis vor? Die Insolvenzzahlen sind doch aufgrund der stabilen Konjunktur rückläufig.
Philipp Oberbrunner: Sicherlich ist das keine Problematik, vor der Auftraggeber jeden Tag stehen. Aber es gilt auch: In 2015 könnte die Zahl der Insolvenzen erstmals seit Jahren generell wieder steigen. Außerdem hat die Handwerkskammer Düsseldorf kürzlich mitgeteilt, dass zwei Drittel der regionalen Handwerksinsolvenzen auf das Bau- und Ausbaugewerbe entfallen. Damit ist ein gewisses Risiko auf jeden Fall vorhanden.
Was bedeutet diese Entscheidung dann für die Praxis?
Philipp Oberbrunner: Kündigt ein Auftraggeber auf Basis von § 8 Abs. 2 der VOB/B einen Bauvertrag, weil der Auftragnehmer insolvent ist, kann das sehr teuer werden. Das hängt mit § 649 Bürgerliches Gesetzbuch zusammen. Die ausgesprochene Kündigung bleibt wirksam. Der Bauvertrag ist also vorzeitig beendet. Allerdings ist diese Kündigung – infolge der Unwirksamkeit des § 8 Abs. 2 VOB/B – eine „freie Kündigung“, die dazu führt, dass der Auftragnehmer Anspruch auf die Vergütung sämtlicher Leistungen hat, die im Bauvertrag vereinbart waren. Und zwar auch auf die, die noch gar nicht erfüllt worden sind.
Das heißt also konkret: Kündige ich den Vertrag, weil mein Vertragspartner insolvent ist, muss ich dafür zahlen?
Philipp Oberbrunner: Genau so ist es. Es gilt dann eben die Rechtsfolge aus § 649 Bürgerliches Gesetzbuch, wonach der Auftraggeber alle beauftragten Leistungen bezahlen muss – unabhängig davon, ob diese bereits ausgeführt worden sind oder nicht. Von dieser Vergütungspflicht wird zugunsten des Auftraggebers nur das abgezogen, was der Auftragnehmer infolge der Kündigung einspart (zum Beispiel Kosten für Material, das der Auftragnehmer noch nicht eingekauft hat). Dieser Abzug fällt regelmäßig aber nur sehr gering aus.
Wie verhindere ich eine solche Zahlung? Es muss doch möglich sein, von einem Bauvertrag zurückzutreten.
Philipp Oberbrunner: Um teure Fehlentscheidungen zu vermeiden, sollten Auftraggeber gemeinsam mit ihrem Anwalt die Verträge und die bisherigen Leistungen des Auftragnehmers genau überprüfen. Nur so können dann alle zulässigen Möglichkeiten zur Beendigung eines Bauvertrags ausgeschöpft werden. Zu den möglichen Beendigungsgründen gehören beispielsweise Mängel, unzulässige Nachunternehmerbeauftragung oder Verzug des Auftragnehmers.
Welchen Zweck hat diese Entscheidung des Oberlandesgerichts?
Philipp Oberbrunner: Es geht darum, nicht das sogenannte „Wahlrecht des Insolvenzverwalters“ zu umgehen. Dieser hat ja aus Gründen der Gläubigerbefriedigung berechtigtes Interesse daran, dass lukrative Bauaufträge zu Ende geführt werden. Durch § 8 Abs. 2 VOB/B wird dieses Wahlrecht aber eingeschränkt – eben weil ein Auftraggeber Verträge aufgrund der Insolvenz kündigen und Schadenersatz verlangen kann. Zwar wird auch durch § 649 Bürgerliches Gesetzbuch das Wahlrecht des Insolvenzverwalters eingeschränkt. Eine solche Einschränkung durch gesetzliche Regelungen (die Regelungen der VOB/B sind lediglich Allgemeine Geschäftsbedingungen) ist aber zulässig, zumal der Insolvenzverwalter über § 649 Bürgerliches Gesetzbuch das bekommt, was er will, nämlich Geld für die Gläubigerbefriedigung. Und zwar ohne dass Aufträge weitergeführt werden müssen.
Die Geschichte der Rechtsprechung scheint ja etwas wechselhaft.
Philipp Oberbrunner: Das ist absolut richtig. Der Bundesgerichtshof hat in einer früheren Entscheidung, auf die sich viele Oberlandesgerichte gestützt haben, die Regelung § 8 Abs. 2 VOB/B bestätigt. Durch eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2012 wurde dies aber revidiert, wobei einige Oberlandesgerichte und das Landgericht Wiesbaden die Regelung dennoch als wirksam erachtet haben. Schlussendlich hat das Oberlandesgericht Frankfurt die Wiesbadener Entscheidung jetzt aber aufgehoben und § 8 Abs. 2 VOB/B für unwirksam erklärt – mit Hinweis auf die BGH-Entscheidung aus 2012. Zwar hat das Oberlandesgericht Frankfurt die Überprüfung seiner Entscheidung durch den BGH zugelassen. Solange der BGH aber nicht etwas anderes entscheidet, müssen wir von der Richtigkeit der Entscheidung aus Frankfurt mit den beschriebenen Konsequenzen ausgehen.
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