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Der Politiker, den keiner mehr grüßt, weil er etwas Richtiges sagt

Bernd Minzenmay ist der einzige Stadtrat der FDP in Dinslaken. Weil er die Selbstbedienungsmentalität seiner Kollegen öffentlich kritisiert, wird er bei Sitzungen geschnitten und abgewatscht. Ein NRW.jetzt-Gespräch mit dem Kommunalpolitiker, der sagt, dass kommunale Aufsichtsratsposten nur der finanziellen Versorgung von Kommunalpolitikern und Parteien dienen.

Herr Minzenmay, neuerdings werden Sie bei Sitzungen des Stadtrats von Dinslaken von vielen Kollegen nicht mehr gegrüßt. Was haben Sie „verbrochen“?

Wahrscheinlich habe ich einen Tabubruch begangen: Man darf als Mitglied des Rates einer finanziell desolaten Stadt immer wieder aufs Neue die Geduld ihrer Bürger austesten, ihnen in ständiger Regelmäßigkeit immer neue Daumenschrauben anlegen , Steuern, Abgaben, Parkgebühren, KiTa-Beiträge erhöhen und phantasiereich immer neue Zahlungspflichten beschließen, Leistungen kürzen und so weiter. Aber eines darf man nicht: Das Missmanagement beim Namen nennen. Und vor allem nicht von sich selbst und den Ratskollegen verlangen, Vorbild zu sein und in Zeiten höchster finanzieller Not auch selbst einmal den Gürtel ein Wenig enger zu schnallen und bei sich selbst anzufangen, ebenso unnötige wie teure und vor allem kontraproduktive alte Zöpfe abzuschneiden.
Das mit dem Nicht-mehr-gegrüßt-werden halte ich übrigens aus. Wenn meine Ratskollegen wollen, dürfen sie mir auch noch einen Sticker auf meine Jacke nähen: „Achtung, abweichende Meinung“.

Es geht ja um Aufsichtsratsmandate für Kommunalpolitiker. Im Stadtrat von Dinslaken sitzen 46 gewählte Parlamentarier. Wie viele von denen haben auch noch ein Aufsichtsratsmandat bei einem städtischen Unternehmen?

Genau um dieses Pfründe-System geht es: Bis zur Ratssitzung vom 16. Dezember 2014 teilten sich 46 Ratsmitglieder 68 Aufsichtsratspöstchen der Dinslakener Stadtwerke GmbH und ihrer Töchter. 13 Ratsmitglieder fühlten sich aber mit städtischen Aufsichtsratsposten unterversorgt, sodass sich der Rat für eine neugegründete Stadtwerketochter einen weiteren 13-köpfigen Aufsichtsrat gönnte, den er sogleich mit „verdienten Rats- und Parteimitgliedern besetzte. Das Beeindruckende: Die neue Tochter mit dem einzigen Geschäftsfeld Solarenergie hatte nur einen einzigen Mitarbeiter, nämlich den gesetzlich vorgeschriebenen Geschäftsführer. Doch damit hatte die Quengelei noch kein Ende. Mit überwältigender Mehrheit gönnten sich die Rats- / Aufsichtsratsmitglieder unter ausdrücklicher Befürwortung durch die Verwaltung für alle jetzt 81 Posten bereits zum zweiten Mal innerhalb von dreieinhalb Jahren eine saftige Erhöhung ihrer Vergütungen – um dieses Mal gut 25 Prozent. Damit überschritten die Kosten allein des Aufsichtsräte-Systems für die laufende Ratsperiode die Summe von über einer Million Euro.

Ratsmitglieder sitzen auch im Aufsichtsrat der Sparkasse in Dinslaken. Und die ist finanziell angeschlagen…

Ja, das kam in der genannten Ratssitzung zum ersten Mal öffentlich zur Sprache, dass unsere Sparkasse durch jahrelanges Missmanagement und offensichtlich versagendes Kontrollsystem des aus Ratsmitgliedern bestehenden Verwaltungsrates im zurückliegenden Geschäftsjahr einen existenzgefährdenden Verlust von über neun Millionen Euro eingefahren hat und eine Unterdeckung von 35 Millionen Euro auflaufen ließ. Außerdem offenbarte die Verwaltung in dieser Ratssitzung eine Unterdeckung des eigenen städtischen Haushalts für das laufende Wirtschaftsjahr von über 15 Millionen Euro und kündigte drastische Gebührenerhöhungen sowie Leistungseinschränkungen an. Sie kündigte an, dass weder für Projekte wie Erlangung des Prädikats „Kinderfreundliche Stadt“ – es ging um 40.000 Euro – Gelder da seien, noch für die Erfüllung von bereits gegebenen Zusagen, Schülergruppen des Projekts „fifty-fifty“ die Hälfte der durch das Projekt gewonnenen Einspareffekte von ca. 3.000 Euro auszuzahlen.

Kann man die Schieflage der Sparkasse in Dinslaken wirklich einer mangelnden Aufsicht durch das zuständige Gremium und fehlender Qualifikation der Aufsichtsräte zuschreiben?

Also, es ist jedenfalls nicht so, wie der Bürgermeister der Stadt Dinslaken beständig zum Besten gibt, dass sich nämlich unser Aufsichtsräte-System „bestens bewährt“ habe. Das Gegenteil pfeifen nicht nur alle Spatzen von den Dächern, sondern auch die Kommentare in der Dinslakener Lokalpresse beschreiben da erhebliche Zweifel. So schrieb ein Kommentator der Rheinischen Post zur Sparkassen-Problematik: „Diese Schwierigkeiten haben sich über Jahre unter den Augen des Verwaltungsrates – also des Gremiums, das für die Kontrolle der Dinge zuständig war, entwickelt. Und dann spricht der Bürgermeister von einem ‚bewährten System‘? Für wie dumm hält dieser Meister seine Bürger?“
Ich wollte aber nicht nur spekulieren, sondern habe für die Ratssitzung vom 24. März 2015 den Antrag gestellt, ein externes Gutachten erstellen zu lassen, das klärt, welches die Ursachen für den ausgewiesenen Verlust sind, insbesondere ob der Verwaltungsrat das Risikomanagement des Vorstands in ausreichender Form kontrolliert hat. Dieser Antrag wurde auf Vorschlag der Verwaltung mit Mehrheit abgelehnt. Die merkwürdige Begründung war, der Rat dürfe zwar Verwaltungsräte in das Sparkassen-Gremium entsenden, eine Kontrolle veranlassen allerdings nicht.
Das ist ja gerade das Paradoxe an dem System. Die Mitglieder der Kontrollgremien unterliegen selbst nicht nur keinerlei Kontrolle oder Weisung, sie dürfen sich aufgrund ihrer gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung nicht einmal in Bezug auf ihre zu treffenden Entscheidungen abstimmen, weder mit ihren Parteien noch mit Ihren Fraktionen. Wozu dann überhaupt noch politische Aufsichtsräte?

Ihre Kritik richtet sich aber, wenn wir das richtig verstanden haben, nicht nur gegen eine Art Selbstbedienungsmentalität, von der Personen, aber auch Parteien, einen finanziellen Vorteil haben, sondern stellt auch die Eignung eines normalen Ratsmitgliedes für einen Posten als Aufsichtsrat in Frage…

Der Deutsche Corporate Governance-Kodex stellt Mindestanforderungen an das Persönlichkeitsprofil, an fachliche Fähigkeiten und Kenntnisse sowie die Erfahrung zu nominierender Aufsichtsratsmitglieder, auch dort übrigens, wo wie hier ein Aufsichtsrat überhaupt nicht vorgeschrieben ist. Ohne ausreichende Fachkompetenz, die zwingend erforderlich ist, um die überaus komplizierten betriebswirtschaftlichen Vorgänge in dem jeweiligen Unternehmen zu durchdringen, können Aufsichtsratsmitglieder ihrer Kontrollfunktion, gerade wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, nicht nachkommen. Diese Kriterien werden von Fachleuten wie Wirtschaftsprüfern, Analysten, Bankbetriebswirten, aber in aller Regel nicht bei ehrenamtlichen Politikern aus der Mitte der Bevölkerung auf unteren staatlichen Ebenen erfüllt. Hier werden am Kodex vorbei Politiker mit entsprechend dotierten Aufsichtsratsposten schlichtweg belohnt. Experten wie Tobias Weitzel von der Financial Experts Association fordern wegen dieser offensichtlichen Missstände schon lange transparente und klar definierte Regeln für die Nominierung von Politikern und keine Fragen in der Fraktion, wer denn gerade Lust auf einen Aufsichtsratsposten hat. Und dass die 46 nach demokratischen Regeln aus dem Volke gewählten Dinslakener Ratsmitglieder allesamt zufällig auch 46 erfahrene Fachleute und Wirtschaftsexperten seien, glauben wohl nicht einmal die Hartgesottensten unter ihnen selbst

Klingt logisch, warum wird das nicht umgesetzt?

Auch mein weiterer Antrag, wenigstens Kodex und Mindestqualifikationsmerkmale bei der Entsendung von Ratsmitgliedern in Aufsichtsräte städtischer Unternehmen zu beachten, wurde durch den Rat in der Sitzung am 24. März mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Es wäre sonst wohl zu schwer geworden, Parteisoldaten in erster Linie gemessen an ihren Partei-Verdiensten und ihrem Wohlverhalten mit einem Aufsichtsratsposten zu belohnen. Aber entscheidend für die Verteidigung des unseligen Pfründe-Systems ist letztlich folgendes: Das Aufsichtsräte-System ist nicht nur in fast allen Kommunen die Regel, sondern durchzieht auch Landesparlamente und selbst den Bundestag. Jedem objektiven Beobachter wird sehr schnell klar, dass hier erhebliche finanzielle Abhängigkeiten geschaffen worden sind, die eine Dimension erreicht haben, dass eine freie, von persönlichen Interessen unabhängige und nur am Wohle der Kommune bzw. des Landes orientierte Meinungsbildung nicht mehr möglich ist. Verstärkt werden diese Abhängigkeiten durch den Druck der die betreffenden Mitglieder in die Gremien entsendenden Parteien. Wir konnten in der Ratssitzung vom 24. März 2015 die detailliert vorgetragene Abrechnung der Aufsichtsrätevergütungen durch eines der Ratsmitglieder und seine Argumentation zu der von ihm empfundenen Unterbezahlung verfolgen: ihm bleiben nach Abzug der satzungsgemäß zu zahlenden Mandatsträgerbeiträge an seine Partei und seiner Einkommensteuer „gerade einmal 35 Prozent“ seiner Vergütungen aus seinen verschiedenen städtischen Aufsichtsratsposten. Ohne diese Mandatsträgerbeiträge aus den Aufsichtsrätevergütungen ihrer Mitglieder hätten die Parteien ein erhebliches Problem.

Sie waren daran beteiligt, die Bürger ihrer Stadt zu mobilisieren, um die im Dezember 2014 beschlossene Anhebung der Vergütungen für Aufsichtsratsposten per Bürgerbegehren rückgängig zu machen. Das ist Ihnen gelungen. Was müsste passieren, um das System insgesamt in Frage zu stellen? Auf Unterstützung einer Ratsmehrheit können Sie ja wahrscheinlich nicht hoffen….

Die Politik verfolgt bei der Pflege ihres Aufsichtsräte-Systems mit aller Konsequenz, quer durch die Parteienlandschaft, eigene finanzielle Interessen, gegen die Interessen der Bürger. Auf eine Befreiung von dieser spürbaren Last ausgerechnet mit Hilfe der Politik können die Bürger daher nicht setzen. Daher müssen die Bürger die erforderlichen Maßnahmen selber in die Hand nehmen, wenn sie sich gegen offensichtliche Misswirtschaft und nachhaltige Mitursachen der galoppierenden Verschuldung ihrer Städte wirksam wehren wollen. Leistungskürzungen, Steuer- und Abgabenerhöhungen sowie die Erhöhung der Kinderbetreuungs-Entgelte und anderes, sind oft genug nur deshalb notwendig, weil als Vertreter der Bürger gewählte Repräsentanten in den Räten ihrer Städte zeigen, dass sie selbst in Zeiten schwierigster Haushaltssituationen sich selbst immer noch am nächsten sind und dabei leider auch weder Scham noch Augenmaß mehr erkennen lassen. Entscheidend ist dabei, dass dieses System den Bürgern erst einmal in seiner vollen Tragweite überhaupt bewusst wird. Und dann, wenn die Bürger es nur wollen, sind sie nicht hilflos, wie der Erfolg des Dinslakener Bürgerbegehrens deutlich gezeigt hat.

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