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„Das vorhandene Zeitfenster sinnvoll nutzen“

Das Verfassungsgericht hat die steuerliche Bevorzugung von Betriebsvermögen als verfassungswidrig beurteilt. Rechtsanwalt Jens Gartung aus Düsseldorf gibt Tipps für Unternehmer zum richtigen Umgang mit der „neuen Welt“.

Es war eine Entscheidung, auf die vor allem viele mittelständische Unternehmer mit größerem Bangen gewartet haben. Nun hat das Verfassungsgericht – wie von vielen Beobachtern erwartet – festgestellt, dass die „Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar“ ist. Das heißt konkret: Die bisherige Gesetzgebung, die Firmenübertragungen unter bestimmten Voraussetzungen zu 85 Prozent beziehungsweise sogar zu 100 Prozent steuerfrei ermöglicht, ist in dieser Form in Zukunft nicht mehr gültig. Der Gesetzgeber hat nun bis zum 30. Juni 2016 Zeit, ein neues Gesetz vorzulegen, das den Kritikpunkten der Verfassungsrichter Rechnung trägt.

„Zur Begründung der Richter, warum das Gesetz verfassungswidrig ist, gehört unter anderem, dass die entsprechenden Paragrafen 13a und 13b des Erbschaftsteuergesetzes Ungleichbehandlungen zwischen verschiedenen Betriebstypen zulassen. Der Gesetzgeber wird also an diesen Punkten arbeiten müssen“, kommentiert Jens Gartung das Urteil. Der Fachanwalt für Erbrecht ist Partner bei Schröder Fischer Rechtsanwälte in Düsseldorf (www.schroederfischer.de) und verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Beratung von Unternehmern und Privatleuten – und dementsprechend auch bei der Übertragung von Betriebsvermögen in Form von Gesellschaftsanteilen, Immobilien etc.

Der Rechtsanwalt betont aber auch, dass es nicht nötig sei, direkt Schritte einzuleiten. Es sei noch genügend Zeit, nach den bestehenden Regeln steueroptimiert zu übertragen. „Panikreaktionen sind überflüssig. Das Verfassungsgericht hat durch die Übergangszeit einen breiten Korridor für die Gestaltung von Firmenübertragungen geschaffen. Diesen gilt es jetzt erst einmal zu nutzen, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen“, sagt Gartung.

Zwar habe das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber mit auf den Weg gegeben, dass eine generelle Bevorzugung von Unternehmen vor dem Hintergrund beispielsweise des Arbeitsplatzerhalts zulässig sei. Aber ein neues Gesetz werde die Vermögensschonung im Erbfall grundsätzlich einschränken, ist Gartung sich sicher. Das könnte vor allem Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen haben. „Wird die Firmenübertragung beispielsweise wie eine herkömmliche Erbschaft besteuert, kann das für den Erben schnell in die Hunderttausende oder sogar Millionen gehen. Eine solche Summe ist selten in der Liquidität vorhanden und kann zu einer Schädigung der Substanz führen.“ Dadurch könne die Unternehmensnachfolge in so manchem Falle gefährdet werden – Senior-Unternehmen könnten noch mehr als ohnehin Schwierigkeiten haben, einen Nachfolger an der Unternehmensspitze zu finden. Schon 2012, also in Zeiten, in denen die Erbschaftsteuer bei Betriebsvermögen keine Rolle spielte, hatten laut Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammerstages 39 Prozent der Firmeninhaber keinen adäquaten Nachfolger.

Das gilt für Nordrhein-Westfalen genauso wie für den Rest der Republik – und auf der hohen Unternehmensdichte an Rhein und Ruhr besitzt die Fragestellung hier eine besondere Intensität. Eine Zahl als Beispiel: Dem Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) zufolge stehen jährlich allein in rund 71.000 Familienunternehmen Fragestellungen rund um die Nachfolge an.

Doch natürlich kann nicht jeder Unternehmer nun innerhalb der kommenden 18 Monate seinen Betrieb an die nächste Generation weiter geben, sogar die Allerwenigsten werden dies tun können. Sie müssen sich also mit den neuen Gegebenheiten, die noch keiner kennt, auseinandersetzen und arrangieren. „Ich bin der Auffassung, dass in jeder Veränderung auch eine Chance steckt. Unternehmen sollten jetzt gemeinsam mit ihren Beratern verschiedene Szenarien durchspielen und eine individuelle Strategie entwickeln, um der ‚neuen Welt’ gerecht zu werden. Ebenso fatal wie ein Schnellschuss in der aktuellen Situation wäre es, die Veränderungsprozesse einfach hinzunehmen, ohne mögliche Nachfolgefragen darauf abzustimmen.“

Bildquellen (Titel/Herkunft)

  • Schröder Fischer – Jens Gartung: Schröder Fischer

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