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Bürgermeister Tobias Stockhoff: „Die Maßnahme tut dem Jungen gut“

Das ARD-Magazin „Monitor“ hat in einem Beitrag schwere Vorwürfe gegen die Jugendamtsleiter der Stadt Gelsenkirchen erhoben. Angeblich hätten sie schutzbefohlene Kinder in eine völlig unzureichende Betreuung nach Ungarn verlegt, um selbst damit Geld zu verdienen. Inzwischen wurde bekannt, dass auch ein Junge aus dem westfälischen Dorsten nach Ungarn zur pädagogischen Betreuung geschickt wurde. NRW.jetzt sprach darüber mit Dorstens Bürgermeister Tobias Stockhoff.

Herr Bürgermeister, ein Junge aus ihrer Stadt ist zur Betreuung in ein Heim nach Ungarn verlegt worden. Warum wurde diese Maßnahme vom Jugendamt veranlasst?

Zunächst: Es handelt sich nicht um ein Heim, sondern um eine intensivpädagogische Betreuung, eine 1:1-Maßnahme. Ein Betreuer kümmert sich dort rund um die Uhr um das Kind. Veranlasst haben wir, dass eine Betreuung so stattfinden kann, wie sie von einer Fachklinik für diesen Jungen empfohlen wurde. Wir haben vier Monate lang eine passende Stelle gesucht. Angeboten wurde uns schließlich diese Maßnahme in Ungarn. Bei der Auswahl war der Ort aber nicht das ausschlaggebende Kriterium. Im Gegenteil. Auslandsmaßnahmen sind und bleiben die absolute Ausnahme. Zur Einordnung: Das Jugendamt Dorsten betreut ständig 180 bis 200 Kinder in stationären Maßnahmen. Das Spektrum reicht von der Unterbringung in einer Pflegefamilie über Wohngruppen bis zu solchen intensivpädagogischen Maßnahmen.

Nun ist durch einen Fernsehbericht bekannt geworden, dass die Kinder, die dort aus Deutschland untergebracht wurden, so gut wie keine Betreuung erfahren und auch kaum Schulunterricht hatten. Wurde die Einrichtung nicht geprüft, bevor man dort ein Kind in Obhut gibt?

Mit dem Träger der Maßnahme arbeiten wir seit Jahren auch im Inland zusammen, er ist in der Fachwelt anerkannt, wurde vor zwei Jahren, als er 20-jähriges Bestehen feierte, vom Landesjugendamt Westfalen ausdrücklich gelobt. Wir haben mit ihm Leistungen vereinbart und kennen auch seine Selbstverpflichtungen. Um die Betreuung beurteilen zu können, müssten wir mehr über den Einzelfall und die besondere Situation des Kindes verraten. Das dürfen wir nicht. Nur so viel: Nach allen uns vorliegenden Informationen verläuft die Maßnahme positiv und tut dem Jungen gut. Die Fachklinik, die die Betreuung begleitet, hat gerade erst dringend abgeraten, die Maßnahme zu beenden. Aber mit dieser emotionalen Forderung müssen wir uns nach dem Fernsehbericht natürlich auseinandersetzen. Ob es dem Jungen gut tut, dass sein Leben gerade öffentlich behandelt wird, bezweifle ich allerdings.

Angeblich wurden für die Unterbringung des Jungen monatlich seitens der Stadt 8.000 Euro an die Einrichtung in Ungarn überwiesen. Ist das nicht ein unverhältnismäßig hoher Betrag, selbst für ein luxuriöses Haus?

Nein. Der Träger hat uns versichert, dass er sein Personal im Ausland genauso entlohnt wie im Inland. Er deckt mit den Beträgen auch zusätzliche Kosten ab, etwa die medizinische Begleitung vor Ort und damit entstehende Reisekosten. Wir reden hier über einen Tagessatz von rund 220 Euro, hinzu kommen die Kosten für die Beschulung. Das liegt vollkommen im Rahmen. Derart intensive Maßnahmen kosten im Inland wie im Ausland immer zwischen 200 und 300 Euro pro Tag, in seltenen Fällen auch 350 Euro.

Verwandte des Jungen haben sich öffentlich zu Wort gemeldet und behauptet, sie seien schon vor der Verlegung bereit gewesen, sich um den Jungen zu kümmern. Entspricht das nach ihrem Kenntnisstand der Wahrheit?

Es gab das Angebot, das ist richtig. Das bedeutet aber nicht, dass dies die richtige Lösung für den Jungen ist. Wir reden hier nicht über ein Kind, wo die erste Jugendhilfemaßnahme gleich die Maßnahme in Ungarn war. Wir folgen bei der Betreuung den Empfehlungen von Fachleuten wie Medizinern, Pädagogen und Psychologen. Solche Gutachten bzw. Stellungnahmen allerdings öffentlich zu machen, verbietet uns der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kindes.

Wie geht es jetzt mit dem Jungen weiter, was unternimmt die Stadt Dorsten?

Nach den Vorwürfen des Magazins Monitor haben wir den ganzen Fall sehr genau analysiert und gehen weiterhin davon aus, dass die Ungarn-Maßnahme die richtige Betreuung für den Jungen ist. Darüber hinaus wird er in diesen Tagen besucht von einem Mitarbeiter unseres Allgemeinen Sozialen Dienstes ASD, der mit dem Fall bisher nichts zu tun hatte. Der Frage, ob uns objektiv haltbare Vorwürfe gemacht werden können, stellen wir uns natürlich. Deshalb haben wir dem Landesjugendamt in Münster alle Akten zu diesem Fall zur Verfügung gestellt.

Wird die Stadt Dorsten auch in Zukunft Jugendliche in Heime außerhalb Deutschlands verlegen?

Wir haben von dieser grundsätzlichen Möglichkeit in der Vergangenheit nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Ich will das auch für die Zukunft nicht ausschließen. Aufgrund der Diskussion, der wir uns nun wohl stellvertretend für viele Jugendämter stellen mussten, fassen wir aber nun unsere internen Bestimmungen und Anweisungen dazu neu. Von den bekannten Empfehlungen und Hinweisen zu Auslandsmaßnahmen, die etwa vom „Deutschen Verein“ oder der „Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ“ ausgesprochen wurden, werden wir noch stärker als in der Vergangenheit immer die jeweils „schärfste“ und weitreichendste Empfehlung anwenden.

Bildquellen (Titel/Herkunft)

  • Tobias Stockhoff 3: tobias stockhoff

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