Ohne ausländische Investitionen – Globaler Player NRW
Jetzt sind sie wieder laut zu hören, die Stimmen derjenigen, die mit Europa nichts am Hut haben und die am liebsten nur noch heimische Produkte kaufen wollen. Doch dieses Mal irrt Volkes Stimme. Die Realität ist ganz anders.
Beim Rotwein kam der Ministerpräsident schnell zur Sache. Nordrhein-Westfalen sei ein ausgezeichneter Standort für Investitionen, ließ Jürgen Rüttgers seine Gäste aus dem fernen Abu Dhabi wissen. Und besonders beim angeschlagenen Autohersteller Opel seien die Perspektiven gut, wenn…ja wenn nur jemand mit einem prall gefüllten Geldsäckel käme und einsteigen würde.
Rüttgers’ Gesprächspartner war dafür genau der richtige Adressat, denn Scheich Hamdan bin Zayed Al Nahyan ist mit sechs Söhnen und drei Töchtern nicht nur reich an Kindern, sondern verfügt als Vizepremier auch über Zugang zu den milliardenschweren Investitionsfonds aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Dass er ausgerechnet nach Nordrhein-Westfalen kam, um sich über Investitionsmöglichkeiten zu informieren, ist kein Zufall. Sein Scheichtum will langfristig Geld anlegen, möglichst in zukunftsträchtige Industrieunternehmen. Dabei steht die Automobilbranche allerdings nicht im Vordergrund, ließ seine Exzellenz wissen, auch erneuerbare Energien seien ein schönes Thema. Rüttgers zeigte sich bestens präpariert und zog eine Liste mit gleich 20 an Geld aus Abu Dhabi interessierten NRW-Unternehmen aus der Tasche – darunter auch aus den Sparten Energie und Maschinenbau.
Zeitungen berichteten nach dem ungewöhnlichen Treffen in einem Privathaus an der Ruhr genüsslich von roten Teppichen und einer Schokoladentorte mit Abu Dhabi-Fahne für den Scheich. Doch im Wesentlichen wirft die Unterredung ein Licht darauf, wie eng NRW längst weltweit vernetzt ist. In der aktuellen Krise sind milliardenschwere Besucher aus allen Teilen der Erde höchst willkommen, mancherorts feiert man sie als wahre Hoffnungsträger. Und so ist es kein Wunder, dass im Zusammenhang mit einer möglichen Opel-Rettung auch immer wieder chinesische Geldgeber genannt werden.
Doch die Chinesen kommen nicht, sie sind bereits da. Im Mai 2008 eröffnete der Baumaschinenhersteller SANY Heavy Industry aus dem Reich der Mitte seine Europazentrale in Köln. Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Changsha (Provinz Huan) investiert nun in der beschaulichen 25.000-Einwohner-Stadt Bedburg und dem Rhein-Erft-Kreis sagenhafte 100 Millionen Euro – derzeit die größte Investition aus China in Deutschland. NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) gerät angesichts dieses Deals ins Schwärmen: „Das wird die Attraktivität Nordrhein-Westfalens für chinesische Großinvestitionen weiter erhöhen.“ Und Maria Pfordt, Bürgermeisterin der benachbarten Kreisstadt Bergheim ist sicher: „Unsere Bauwirtschaft und die zahlreichen Handwerksbetriebe werden von SANY profitieren.“
Bei so viel Begeisterung ließ sich auch SANY Germany-Chef Xingliang Feng um Freundlichkeiten nicht bitten: „Wir spüren, dass wir in der Region sehr willkommen sind.“
Der freundliche Empfang hat sich offenbar in Fernost herumgesprochen. Am Rande der internationalen NRW-Standort-Kampagne „We love the new“ wurde bekannt, dass die chinesische Firma EVOC Intelligent Technology Company Ltd. noch im April seine Deutschlandzentrale in Düsseldorf eröffnen wird – auch weil SANY hier ist. Später soll ein Forschungs- und Entwicklungszentrum folgen, 100 neue Arbeitsplätze werden entstehen. Und niemand muss misstrauisch schauen, wenn Unternehmen aus China hier ansiedeln, denn: Mehr als 2.700 Firmen aus NRW sind bereits mit Niederlassungen in Peking, Shanghai oder anderswo innerhalb der aufstrebenden Wirtschaftsmacht vertreten, darunter Dorma, Lanxess, Oschatz und Vaillant.
Die im Oktober 2008 gestartete Imagekampagne „We love the new“ scheint Wirkung zu zeigen. Zum NRW-Empfang in Peking hatten die Delegation aus Düsseldorf auch Tischtennis-As Timo Boll mitgebracht. Der wird in China umjubelt und wie ein Superstar verehrt. Und so spielte Boll unter dem NRW-Logo Stunde um Stunde mit begeisterten Chinesen Tischtennis. Selbst beim festlichen Galaabend mit 300 Gästen war eine grüne Platte vor dem Saal aufgebaut, und Boll gab eineinhalb Stunden in feinster Abendgarderobe alles für seine Heimat.
Grenzüberschreitender Handel
Nordrhein-Westfalen lebt auch und gut von Aufträgen und Geld aus aller Welt. In diesen Zeiten ist der grenzüberschreitende Handel umso wichtiger. Erst gerade ließ das Statistische Landesamt in Düsseldorf mit der Meldung aufhorchen, dass die Auftragseingänge für die Industrie in NRW im Vergleich zum Vorjahr um 43 Prozent eingebrochen sind. Doch immer wieder gibt es auch gute Meldungen: 3.800 von 4.500 Arbeitsplätzen beim insolventen Bremsbeläge-Hersteller TMD Friction in Leverkusen seien gerettet, teilte das Unternehmen Anfang April mit. Möglich wurde dies durch Geld der Londoner Beteiligungsgesellschaft Pamplona Capital Management, hinter dem der frühere russische Top-Banker Alex Knaster steht. Kommen also jetzt die Russen? Auch sie sind längst schon da. Mehr als 40.000 russische Staatsbürger leben zwischen Rhein und Weser, jeder vierte Russe in Deutschland. Und mehr als 200 russische Firmen wirtschaften hier schon erfolgreich – Tendenz steigend. Doch der wirtschaftliche Ertrag ist keine Einbahnstraße. Deutsche Unternehmen liefern Maschinen, Lastwagen, Chemieprodukte und mehr gen Russland. So werden hier viele Tausend Arbeitsplätze gesichert. Die Exporte in alle Welt brachten NRWFirmen im Jahr 2007 insgesamt 174 Milliarden Euro Umsatz, wobei die Länder der gern und viel geschmähten Europäischen Union (EU) 67 Prozent der Waren und Leistungen abnahmen. Und der von vielen abgelehnte Beitritt der osteuropäischen Staaten zur EU brachte gar überdurchschnittliche Zuwächse bei Aufträgen für die Unternehmen im größten Bundesland. Das Vorurteil, die Ost-Neumitglieder seien die einzigen Nutznießer ihres Beitritts, hält einer objektiven Betrachtung nicht stand. Über 10.000 ausländische Firmen steuern von Nordrhein-Westfalen aus ihre Deutschland- und Europaaktivitäten, darunter 3M, Ericsson, Ford, QVC, Sony, Toyota und Vodafone. 167,6 Milliarden Euro Investitionskapital aus dem Ausland flossen 2006 nach NRW – 28,5 Prozent aller internationalen Investitionen in Deutschland, mit Abstand der höchste Anteil. Das meiste Kapital kommt übrigens aus den Niederlanden, gefolgt von den USA. Die Amerikaner sind schon lange hier. In 580 US-Firmen in Nordrhein-Westfalen arbeiten fast 170.000 Beschäftigte. Fast jedes zweite dieser Unternehmen plant weitere Investitionen hier im Land.
Die Erfolgszahlen sind beeindruckend, und doch ist nicht alles Gold, was glänzt. Unvergessen ist das Verhalten des finnischen Mobilfunkherstellers Nokia, der sein Werk in Bochum kurzerhand dicht machte, um vermeintlich preisgünstiger in Rumänien zu produzieren. Oder BenQ Mobile, das nach Einstellung der Zahlungen des taiwanesischen Mutterkonzerns Insolvenz anmelden musste. 3.000 Beschäftigte standen vor einem Scherbenhaufen, das Werk in Kamp-Lintfort wurde 2007 versteigert.
Doch sprechen wir vom Erfolg. Das Juwel der nordrhein-westfälischen Wirtschaft ist und bleibt der Mittelstand. Mehr als 720.000 kleine und mittelständische Firmen erwirtschaften quer durch alle Branchen mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts. Und sie beschäftigen gut 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Da ist interessant zu sehen, dass es gerade bei den Familienunternehmen an Rhein und Ruhr zahlreiche sogenannte „Hidden Champions“ gibt – die heimlichen Weltmeister. In seinem Buch „Hidden Champions des 21 Jahrhunderts. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer“ zählt Autor Hermann Simon 1.174 solcher verborgenen Weltmarktführer in Deutschland, davon die meisten – 293 – in Nordrhein-Westfalen. Und Wirtschaftsministerin Christa Thoben verweist voller Stolz auf heimische Firmen wie den Landmaschinenhersteller Claas im ostwestfälischen Harsewinkel oder den Kochmesser-Hersteller Zwilling aus Solingen, die weltweit erfolgreich sind. Und das sind die Namen, die jeder kennt. Andere blühen eher unbemerkt wie Agathon in Bottrop, die Formen für Schoko-Osterhasen oder süße Star Wars-Figuren produzieren. Im Buch „Heimliche Weltmeister in Nordrhein-Westfalen“ werden viele solcher Erfolgsgeschichten geschildert.
Deutschland und damit auch NRW stecken in einer schweren Wirtschaftskrise, die in den USA ihren Anfang nahm. Irgendwann wird die Hängepartie überwunden sein, vielleicht schneller als anderswo. Und der internationale Erfolg nordrhein-westfälischer Firmen sowie die Bereitschaft ausländischer Investoren, ihr Geld hier anzulegen, werden dann einen spürbaren Anteil am neuen Erfolg haben.
Bildquellen (Titel/Herkunft)
- Rüttgers und Scheich Hamdan: NRW.jetzt