„Die Rastlose“ – Roswitha Müller-Piepenkötter
In Waltrop geboren war der jungen Roswitha schon mit 16 klar, dass sie später gern einen Beruf ausüben möchte, der etwas mit dem Gesetz zu tun hat. Die Entscheidung für ein Studium der Rechtswissenschaften war deshalb folgerichtig, und so kam die heutige Justizministerin 1968 an der Uni Münster an. Ausgerechnet 1968! Nun war die gemütliche Großstadt nicht gerade das Zentrum der Studentenrevolte, aber die Diskussionen, die damals an den Hochschulen des Landes heftig geführt wurden, beschäftigten auch die Studierenden in Münster.
Die damals 18-Jährige war Mitglied in der Jungen Union, ließ sich vom revolutionären Aufbruch nicht anstecken. „Wir hatten natürlich Lehrer, die schon während der NS-Zeit Erwachsene waren“, erinnert sie sich. Und die hätten sichtlich Probleme gehabt, die Jahre der Nazidiktatur im Unterricht zu behandeln: „Meistens hörten sie bei Bismarck auf“, sagt die Ministerin, die sich dann in Volkshochschul-Kursen erstes Wissen über die Hitler-Barbarei holte. „Wir alle hatten 1968 und danach den Wunsch nach Veränderung“, erinnert sie sich. Aber sie stammte aus einem katholischen Elternhaus, und so kamen für sie Experimente mit kommunistischen Gesellschaftsmodellen nicht in Frage. Dennoch engagierte sie sich, wurde als Kandidatin der „Sozialliberalen Initiative“ in den ASTA der Uni gewählt.
„Mein Ziel war ein Beruf in der politischen Verwaltung“, sagt Roswitha Müller-Piepenkötter im Gespräch mit NRW.jetzt, doch während der Referendarzeit besann sie sich anders. Neues Ziel war nun der Richterberuf. Es folgten Stationen als Richterin in Dortmund, Leverkusen und Düsseldorf. Dort, inzwischen am Oberlandesgericht, war sie als Mitglied des Strafsenats an zahlreichen Verfahren wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für die DDR beteiligt. Und am ersten Völkermord- Prozess in Deutschland 1997 gegen einen Serben. Noch heute bewegen sie die Aussagen der Opfer in dem Verfahren: „Ich habe einen ganz intensiven Eindruck davon bekommen, wie deprimierend das Leben in einer Kriegssituation ist.“
Eine zusätzliche Aufgabe beim OLG fiel ihr zu, als sie von 1999 bis 2002 Gleichstellungsbeauftrage am wurde. Braucht man so etwas heute überhaupt noch? „Es gibt Probleme, die ein Mann einfach nicht sieht“, sagt sie und spricht von den Frauen im Strafvollzug, die Schichtarbeit leisten müssen, und keine ausreichende Kinderbetreuung hatten. Probleme, die es bei steigendem Frauenanteil in vielen Berufen gibt. Sich engagieren, etwas tun – das treibt Roswitha Müller-Piepenkötter an. Sie kandidiert in den 90er Jahren auf der Liste der CDU für den Landtag, engagiert sich jahrelang im Sozialdienst katholischer Frauen und Männer, wird 2001 in das Präsidium des Deutschen Richterbundes gewählt, ein Jahr später ist sie Vorsitzende des Richterbundes NRW. „Wenn sie einmal anfangen, kommen immer neue Aufgaben ganz von selbst“, sagt sie.
Und dann kam der Mai 2005, Regierungswechsel in Nordrhein- Westfalen. Wenige Wochen später – die Koalitionsverhandlungen waren bereits abgeschlossen – klingelte das Telefon. Der designierte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bat zum Kaffee in sein Büro im Landtag – und offerierte der Richterin einen Platz als Justizministerin in seinem Kabinett. Sie bat sich eine Nacht Bedenkzeit aus, besprach das Angebot mit ihrem Mann und einer ihrer beiden Töchter, die noch zu Hause wohnte. Dann sagte sie zu. Die ersten Tage waren aufregend. Kaum stand ihr Name in den Zeitungen, klingelte das Telefon ohne Pause. An einem Freitag erhielt sie ihre Ernennungsurkunde, am darauffolgenden Mittwoch musste sie bereits die Justizministerkonferenz in Dortmund leiten. Ihre Mitarbeiter liefen zu Hochform auf, um die neue Chefin gut vorzubereiten. Berührungsängste gab es keine. „Die Justiz ist nicht ideologisch. Hier gibt es viele preußische Beamte“, ist die Ministerin bis heute froh. Der Übergang vom Amtsvorgänger war also kein Problem, zumal sie alle Abteilungsleiter im Haus bereits vorher kannte.
Justizminister in NRW, das ist kein Job, der vergnügungssteuerpflichtig ist. Besonders die Themen des Strafvollzugs waren Neuland für die frisch gebackene Ministerin. „Wir haben hier Vollzugsanstalten, die vor über 100 Jahren gebaut wurden. Viele hatten Zellen, die nur gut sechs Quadratmeter groß waren“, erinnert sich Roswitha Müller-Piepenkötter. Und viele waren überbelegt, stieg doch die Zahl der Inhaftierten in den NRW-Haftanstalten in den 90er Jahren von 16.000 auf 19.000, ohne dass man mit dem Bau neuer Gefängnisse Schritt halten konnte. Dazu kam der Stellenabbau im Vollzugsdienst – eine gefährliche Mischung, wie die Politikerin bald feststellen musste.
In der Nacht vom 11. auf den 12. November 2006 foltern drei Häftlingen einen 20-jährigen Mitgefangenen über Stunden bis zu seinem qualvollen Tod. Wärter, die gerufen werden, bemerken nichts und gehen wieder. Als der Fall bekannt wird, prasseln Vorwürfe und Rücktrittsforderungen auf die Ministerin ein: Vier junge Männer fast einen ganzen Tag in einer Zelle eingesperrt, die nur für zwei Häftlinge vorgesehen war. Justizbeamte, die nichts bemerken. Eine Ministerin, die erst Tage später an den Ort der schrecklichen Ereignisse fährt. Sie sollte dafür die politische Verantwortung übernehmen und abtreten.
Roswitha Müller-Piepenkötter ist bis heute überzeugt, dass es richtig war, erst dann in die JVA Siegburg zu fahren, als die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit vor Ort abgeschlossen hatte. Andernfalls, so vermutet sie, hätte man ihr vorgeworfen, Einfluss zu nehmen, etwas vertuschen zu wollen. Hat sie auch Fehler gemacht? „Ja, in den ersten Tagen haben wir uns treiben lassen.“ In besonders schlechter Erinnerung hat sie die Sitzung des Rechtsausschusses am Donnerstag nach dem Gewaltexzess in Siegburg. Gab es Momente, in denen sie hinschmeißen wollte? „Nein! Ich hatte den Eindruck, man erwartet von mir, dass ich mit dieser Sache fertig werde“, sagt sie. Politische Verantwortung heiße nicht immer Rücktritt. Im Gegenteil, so ein Abgang sei oft der leichtere Weg.
WEGSPERREN IST KEINE LÖSUNG
Die Wochen danach waren prägend für die heute 59-Jährige. Das Thema Jugendkriminalität beschäftigt sie wahrscheinlich mehr als jedes andere. „Wir haben hier junge Strafgefangene, die haben nie Verantwortung übernehmen müssen oder Lob von irgendjemandem bekommen. Manche kommen hier an und können nicht mit Messer und Gabel essen, weil es bei ihnen zu Hause nie Mittagessen gab“, sagt die Ministerin. Sie ist ein wenig stolz darauf, dass sie in den ersten Jahren im Amt die Zusammenarbeit zwischen Justiz, Polizei, Jugendhilfe und Schulen verbessert habe. Und sie weiß, dass Wegsperren junger Straftäter keine Lösung des Problems ist. Die Gewaltkriminalität nimmt zu, auch die Qualität der Gewalt. Woran es liegt? „Eine Mischung verschiedener Faktoren, Probleme im Elternhaus, gewaltverherrlichende PC-Spiele, Medien“, vermutet sie. Wenn es nach ihr ginge, gäbe es keine „Ego-Shooter“-Spiele auf den Computern: „So etwas brauchen auch Erwachsene nicht!“
Es gibt ein weiteres großes Thema der Justizministerin Müller-Piepenkötter, und das ist die Wirtschaftskriminalität. „Was soll ich einem Junkie sagen, der Geld für den nächsten Schuss klaut, wenn gleichzeitig Andere, die schon viel haben, mit kriminellen Methoden ungestraft weitere Millionen zusammenraffen?“ Die Liste der Delikte, denen sie zu Leibe rücken will, ist lang: Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Bestechung, Diebstahl von Materialien des Arbeitgebers und so weiter. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, die da oben kommen mit so etwas durch.“
In ihrer spärlich bemessenen Freizeit „fresse ich Kriminalromane“, vornehmlich aus Skandinavien. Und sie hat ein echtes Laster: „Ich rauche, und ich stehe dazu.“ Extrawürste gibt es dabei für die Ministerin der Justiz nicht. Wenn sie das Verlangen nach einer Zigarette während des Tages überkommt, geht sie in den Hof ihres Ministeriums: „Dort treffe ich dann andere Mitarbeiter, und wir rauchen zusammen eine.“
Bildquellen (Titel/Herkunft)
- Porträt Roswitha Müller-Piepenkötter: NRW.jetzt
- Roswitha Müller-Piepenkötter im Gespräch mit Klaus Kelle: NRW.jetzt