Zurück in die Zukunft: Vom Geist der Walberberger

von KLAUS KELLE

Bonn – Der Bornheimer Stadtteil Walberberg im Rhein-Sieg-Kreis liegt zwischen Köln und Bonn und hatte am 31. Dezember 2014 genau 4.714 Einwohner. Walberberg ist einem größeren Publikum für zwei Dinge bekannt. Hier wurde die vierte Staffel der Comeday-Serie „Stromberg“ von ProSieben gedreht. Und hier wurde das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg (IfGW) aus dem Dominikaner-Kloster St. Albert heraus begründet, das sich seit über 60 Jahren der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung auf der Basis der Katholischen Soziallehre widmet. Moderne Menschen würden das Institut wohl als „Think Tank“, also als Denkfabrik, bezeichnen. Ein Ort, wo gründlich nachgedacht, wo über Fragen unserer Zeit diskutiert und publiziert wird. Chef und Kopf des Walberberger Instituts ist Pater Wolfgang Ockenfels, ein Professor, der 1984 im Gebiet der Christlichen Gesellschaftslehre mit der Schrift „Politisierter Glaube? Zum Spannungsverhältnis zwischen katholischer Soziallehre und politischer Theologie“ habilitierte. Gestern Abend ludt der Sozailethiker zum 71. Buß- und Bettags-Gespräch in der ehrwürdige Hotel Bristol nahe des Bonner Hauptbahnhofs ein. Es ging um die Innere Sicherheit und ihre Gefährdung, insbesondere durch #wirschaffendas. Mehr als 300 Gäste kamen zu der alljährlichen traditionsreichen Veranstaltung, um Bayerns Staatsminister des Inneren, Joachim Herrmann von der CSU, den Staatsrechtler Prof. Josef Isensee und den absolut medientauglichen Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, zu hören. Der ist – wie zweifellos viele an diesem Abend in diesem Raum – immer noch Mitglied der Christlich-Demokratischen Union (CDU), der stolzen Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls, die dieses, unser, Land geprägt hat wie keine andere Partei. Und deren großes Erbe derzeit von einer Nachfolgerin, die jeglichen politischen Kompass und inzwischen auch ihren Instinkt vermissen lässt, in beispielloser Weise heruntergewirtschaftet wird.

In diesem Raum im, nennen wir es, etwas angegrauten Hotel (Grundfarbe Weinrot), ist es einmal im Jahr noch ganz wie früher, als die Bonner Republik im strahlender Blüte stand. Als man sich in manchen Ecken Bad Godesberg noch nicht vorkam, wie auf einem Basar in Marrakesch. Als junge Männer wie der 17-jährige Niklas nachts an einer Bushaltestelle noch nicht einfach so totgeschlagen wurden. Es hat sich viel verändert in diesem Land und in Bonn in nur wenigen Jahren. Und Rainer Wendt erzählt davon. Vom Versagen der Politik, seine Bürger effektiv zu schützen. Von zu vielen Kriminellen und zu wenigen Polizisten, von der Videoanlage in Bonn, mit deren Hilfe ein – Gott sei Dank letztlich verhinderter – Terropranschlag aufgeklärt wurde, und die jetzt abgebaut ist. Aus Gründen des Datenschutzes. Und er erzählt von No-Go-Areas in Nordrhein-Westfalen, die es ja angeblich gar nicht gibt, wie unsere famose Landesregierung in Düsseldorf bekräftigt. Polizeibeamte, die in Duisburg, Dortmund, Essen und anderswo zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt sind, erzählen etwas anderes … Der Staatsrechtler Prof. Josef Isensee spießt in seinem intelligenten und von deutlichem rheinischem Humor durchzogenen Vortrag den Irrsinn mit dem überzogenen Datenschutz in Deutschland ebenfalls auf. „Wir können uns so ein weltfremdes Bundesverfassungsgericht nur leisten“, resümiert Isensee, „weil das Auge amerikanischer Geheimdienste über uns wacht“ In diesem Saal gibt es an dieser Stelle lautstarken Beifall für diese Aussage.

Stargast des Abends ist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der mit einer tadellosen Bilanz vor das Auditorium tritt. Er wolle ja andere nicht kritisieren, sagt er, aber Bayern sei schon das beste Bundesland. In vielen Bereichen, aber ganz besonders bei der Kriminalitätsbekämpfung. Die Statistiken sprechen für sich. Wenn man die Zahlen bei Wohnungseinbrüchen und Aufklärungsquoten gegenüber stellt, schämt man sich, in Nordrhein-Westfalen zu leben. 59 Einbrüche gab es im vergangenen Jahr statistisch auf 100.000 Einwohner in Bayern. In NRW sind es mehr als 340…

Auch Herrmann lobt die Zusammenarbeit mit den „wie das so schön heißt, befreundeten Diensten“, dank derer mehrere Terroranschläge in Deutschland verhindert werden konnten. Er macht keinen Hehl daraus, dass es vornehmlich die USA sind, denen wir einmal mehr zu Dank verpflichtet sein sollten – trotz NSA-Affäre und trotz macher Unerfreulichkeiten in der transatlantischen Zusammenarbeit. Das Thema Flüchtlinge nimmt einen großen Teil der Rede des Gastes aus Bayern ein, in dessen Nähe jederzeit junge drahtige Männer in dunklen Anzügen und mit Knopf im Ohr stehen, die jeden Vorbeigehenden mit sturem Blick mustern. Herrmann meint es ernst mit dem Kampf gegen Terror und Extremisten aller Art. Er redet Klartext, sagt mit Blick auf den Islamistischen Terror Sätze wie „Die Täter sind mitten unter uns.“ Noch einmal eine Million Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen? „Das kann nicht funktionieren.“ Auch wenn sich die Lage dank Schließung der Balkan-Route deutlich entspannt habe. Wo früher 3.500 oder 5.000 Flüchtlinge am Tag in Bayern ankamen, sind es heute im Schnitt nicht mehr 100. Einmal wird der Minister dann noch temperamentvoll, als es um Flüchtlinge geht, die ohne Ausweispapiere in Deutschland ankommen. Die politische Linke sage dann, man dürfe doch Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen. „Das ist saudummes Gerede“ schimpft der CSU-Politiker in den Saal und setzt nach: „Fliegen Sie mal nach New York und sagen Sie am Flughafrn: Ich habe leider meinen Pass vergessen…“

Der Abend ist nach dem offiziellen Teil noch lange nicht beendet. Es gibt „noch einen kleinen Imbiss“, wie Gastgeber Ockenfels schmalos untertreibend sagt. Wenn er Imbiss sagt, dann meint er nicht „Finger-Food“, wie man das heute in hippen (Grundfarbe Türkis) Designer-Hotels reicht. Es gibt Schweinebraten mit Soße, Kartoffeln und Blumenkohl. Und einen anständigen Wein. „Antipasti“? Das sind hier Bohnen, Nudelsalat, Tomaten und Gurken. Es ist die gute, alte Zeit, die genussvoll zelebriert wird. Hier ist das klassische rheinisch-katholische Bürgertum versammelt. Alte Haudegen wie Philipp Laufenberg vom Bund Katholischer Unternehmer (BKU) oder der Publizist Martin Lohmann, der aus einem eher trostlos anmutenden „Marsch für das Leben“ in Berlin, wo nicht einmal genug Demonstranten kamen, um die mitgebrachten Kreuze tragen zu können, eine alljährlich wachsende machtvolle Demonstration der Lebensrechtbewegung organisiert – mit zuletzt 7.000 Teilnehmern. An den Tischen wird heftig diskutiert. Wie lange macht Merkel noch weiter? Wann fordert sie endlich jemand heraus? Und wenn von der Leyen Nachfolgerin wird, wollen andere endgültig mit ihrer CDU brechen. Und dann der Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki. Wie kann so ein Mann, der kürzlich ein Flüchtlingsboot vor dem altehrwürdigen Kölner Dom aufbauen lies, Kardinal der katholischen Weltkirche sein? Völlig überfordert, der Mann…

So geht es weiter. Es ist deutlich nach Mitternacht, als die Letzten den Saal verlassen. Prof. Ockenfels ist da schon nicht mehr zu sehen. Vermutlich hat er sich in ein stilles Kämmerlein zurückgezogen, um eine seiner geliebten Zigarren zu rauchen und einen kleinen Moment stolz darauf zu sein, dass er diese wunderbare Enklave der Normalität und des gesunden Menschenverstandes in einer zunehmend wirren Gesellschaft hegen und pflegen darf…