Wirtschaft, Politik und Leben in Nordrhein-Westfalen

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Die Politik der NRW-Landesregierung und die hohe Kunst der Camouflage

GASTBEITRAG von MARCUS OPTENDRENK & ROBERT GRÜNEWALD

Wenn Politiker ihre Lebensläufe fälschen oder plagiieren, dann ist dies verwerflich, weil sie es ausschließlich aus Karrieregründen tun. Mindestens ebenso bedenklich ist jedoch die alltägliche politische Camouflage, mit der die Bürgerinnen und Bürger an der Nase herum geführt werden.

In der vergangenen Spielzeit der Oper am Rhein in Düsseldorf lief Otto Nicolais beliebtes Singspiel „Die lustigen Weiber von Windsor“. Die heutige Beliebtheit der Oper beim Publikum gründet vor allem darauf, dass der Haudegen, Saufbold und Weiberheld Falstaff tief in die Trickkiste greift, um seinem Ziel der Verführung zweier Ehefrauen näher zu kommen. Doch es nützt alles nichts. Im Gegenteil: Selbst die gelungenste Camouflage, die Verkleidung als altes Waschweib, trägt ihm am Ende nur den rüden Rauswurf aus dem Haus und den Spott seiner Bewohner ein.

Beispiele dafür, wie jemand über seine eigenen Täuschungsmanöver stürzt, gibt es auch in der Politik zu Hauf. Das Erstaunliche ist allerdings, dass gerade Politiker daraus nicht zu lernen scheinen und es immer wieder aufs Neue versuchen. Die Öffentlichkeit sowie Bürgerinnen und Bürger an der Nase herum zu führen ist allerdings in Anbetracht schwindender finanzieller und politischer Spielräume häufig die einzig verbliebene Möglichkeit des Machterhalts. Sie funktioniert, weil die mediale Öffentlichkeit, aber auch wir Bürgerinnen und Bürger wie das Publikum im Theater nach Abwechslung und Unterhaltung heischen. Die Folge ist ein zunehmender Hang der Politik zu symbolischen Handlungen statt inhaltlicher Konkretisierung, zu Inszenierung und Theatralisierung. Der mediale Darstellungseffekt hat den materiellen Problemlösungserfolg als Quelle der politischen Legitimation längst abgelöst. Diese Darstellungsform der Politik, die politische Camouflage, wird zurzeit in hoher Kunst dem staunenden Publikum von der Landesregierung, vor allem ihrem sozialdemokratischen Teil, vorgeführt.

Ein ganz außergewöhnlich talentierter Akteur in den Inszenierungen der Regierung ist dabei seit Jahren Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Seine Erfolge im tragischen Bemühen, den Haushalt des Landes strukturell zu sanieren und die Ziele der Schuldenbremse umzusetzen – vor allem eine generationengerechte Vorsorgepolitik zu betreiben – gehen gegen Null. Denn eigentlich müsste er sich nicht nur mit vielen Interessengruppen auseinandersetzen, sondern auch vielen politischen Freunden. Statt Tragödie führt er daher viel lieber sein in der Öffentlichkeit erfolgreiches Krimi-Epos „Steuerhinterziehung“ auf und wiederholt dieses unter Applaus des Publikums in beliebigen Variationen, allerdings mit immer demselben strahlenden Helden: Statt eines langweiligen Kassenwarts in ermüdenden Haushaltsberatungen können wir den tapferen Kämpfer gegen die weltweite Steuerkriminalität erleben.

Ähnlich erfolgreich hat in den letzten Jahren Landesinnenminister Ralf Jäger agiert. Um von den Misserfolgen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität wie der Alltagskriminalität, von schlechten Aufklärungsquoten und unzureichender Organisation der eigenen Polizei abzulenken, setzte er das Eventstück „Blitzmarathon“ auf den Spielplan. Dieses hat er mit Akteuren immer weiter aufgestockt, zuletzt wurden mehr als 1000 Polizeikräfte an den „Marathontagen“ dafür eingesetzt. Sie fehlten allerdings an anderer Stelle. Ob bei Einbruchskriminalität oder anderen Delikten: die Versäumnisse des Ministers waren schon vor der „Kölner Silvesternacht“ unübersehbar, die jetzt wohl als Trauerspiel in die Aufführungshistorie des Innenministers eingehen wird. Ihm wird jedoch bald ein neues Stück einfallen, das ihm den Applaus des Publikums wieder sichern wird.

Für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist dies gar die noch einzig verbliebene Chance. Mit ihrer Selbstinszenierung als „Kümmerin“ erreichte sie zunächst viele Jahre ihrer Amtszeit die Herzen der Menschen in Nordrhein-Westfalen, weil sie „einfach da war“. Sie zeigte Mitgefühl und Verständnis für die Nöte der Menschen, wie man es von einer Landesmutter erwartet. Doch diese Rolle ist mittlerweile ausgespielt. Mit Blick auf den wirtschaftlichen Stillstand in Nordrhein-Westfalen, den Rückstand bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Industrie 4.0 oder die Blockade von SPD und Grünen bei Landesplanung, Energie und Klimaschutz: die Ministerpräsidentin agiert wie im falschen Film. Sie bräuchte ein neues Setup für sich als CEO des Unternehmens NRW. Doch dies scheint sie nicht zu wollen oder zu können. Zu abrupt und unkalkulierbar wäre der Rollenwechsel von heute auf morgen. So droht sie zur tragischen Figur zu mutieren.

Trotz aller Inszenierungs- und Verwandlungskunst der Politik – es ist also Vorsicht angebracht: die kommunikative Verschleierung ausbleibenden materiellen Erfolgs hat ihre Grenzen. Was trieb dich, frecher Menschensohn, zu dieser schnöden Mummerei? Das muss sich der Camoufleur Falstaff am Ende fragen lassen. Die überbordende Verwandlung und Camouflage in dem lustigen Stück hatte das Publikum nach der Uraufführung 1849 bald satt: Es wurde nach nur vier Vorstellungen vom Spielplan abgesetzt.

Marcus Optendrenk ist Jurist, promovierter Historiker und haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag.
Robert Grünewald ist promovierter Kommunikationswissenschaftler und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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